Der Gockhauser Wald und seine Zukunft

Ein Rundgang mit Sven Schenk und Rita Attinger Ribbe

Es ist ja so: ein wolkenverhangener Sonntagnachmittag mit Ankündigung von Regen spätestens ab 17 Uhr würde mich dazu verleiten, ein Kaminfeuer anzumachen, den Dürrenmatt zu Ende zu lesen, mit einem Malt Whisky Balvenie Doublewood (sic!) und einem Ohr an der Musik, sagen wir mal Zen Funk von Nik Bärtsch’s Ronin oder die Chopin Klavierkonzerte mit Claudio Arrau. Und schon sind wir beim Thema: Holz ist überall und es wächst mehrheitlich im Wald. Brennholz im Kamin, die Eichenfässer zur Reifung des Single Malt, die kunstvolle Verwendung im Instrumentenbau. Zum Verhältnis von Dürrenmatt zum Wald fällt mir nichts ein, dafür ein paar Zeilen Goethe: „Ich ging im Walde so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn.“ Aber schon kommt Kafka mit einer weiteren Option: „Denn in den Wäldern sind Dinge, über die nachzudenken man jahrelang im Moos liegen könnte.“ Wohlan denn, Rossi Kultur hat zum Waldspaziergang eingeladen, mit Sven Schenk, dem neu ernannten Revierförster Dübendorf, und mit Rita Attinger Ribbe, zuständig für den meditativen Zugang zum Wald. Am Startpunkt beim Werkhof Geeren haben sich über 40 Personen eingefunden, gut beschuht, mit Regenjacken und Schirmen für alle Eventualitäten gerüstet. Nach kurzem Fussmarsch ein erster Zwischenstopp mit Informationen von Sven zum eher technischen und wirtschaftlichen Aspekt der Holzkorporation: „Geld verdienen tut man nicht. Hege und Pflege dient sowohl unserem menschlichen Bedürfnissen wie auch dem ökologischen Stellenwert des Waldes.“ Den unmittelbaren Zugang erleben wir mit einer ersten Wald-Meditation, bei einsetzendem Nieselregen. Mit geschlossenen Augen und anderweitig offenen Sinnen war ein eindrückliches Erleben beinahe zwingend: leises Rauschen, Vogelgesang, eine unendlich beruhigendes Gefühl der Aufgehobenheit. Und wenn man auch heute weiss, dass unsere Waldgesellschaften mehrheitlich vom Menschen geschaffen wurden, zuerst durch massive Rodungen nach dem Ende der letzten Eiszeit, durch Beweidung des Alpenraums, den Eisenbahnbau, dann als Resultat der Forstgesetze (1876), bleibt beim eigenen Erleben des Waldes doch eine Ehrfurcht vor der Vielfalt an Lebewesen, wozu ja neben den Bäumen und Tieren auch eine ganze Armada an Insekten, Bakterien und Pilzen gehören. Gut erlebbar war dies an einer weiteren, von Rita angeregten Beobachtung kleiner Details im engeren Blickfeld, eine Vielzahl von Sämlingen von Tanne, Esche, Ahorn, Buche, Rietgräsern, Waldmeister, Goldnessel, Stechpalmen und weiteren Naturwundern. Im weiteren Verlauf erfuhren wir von Sven Wissenswertes über die Möglichkeiten der Waldbewirtschaftung, exemplarisch zu sehen bei ehemals von Lothar im Dezember 1999 leergeräumten Flächen, wo jetzt mit neu gepflanzten Stieleichen im wesentlichen eine Waldgesellschaft „gelenkt“ wird, die vielleicht nach Dutzenden oder Hunderten von Jahren  das Bild vom Wald prägen wird. Immerhin, Stieleichen können über 1000 Jahre alt werden! Da darf man schon etwas nachdenklich werden und sich die beinahe ketzerische Fragestellung nach der Lebenserwartung des heutigen „Menschenwerks“ stellen. Somit wird auch klar, dass Sven in einer anderen Zeitdimension denken und arbeiten muss. Mit Rita sind wir an weiteren Stationen wieder im Hier und Jetzt, lernen zu staunen über die Vielfalt unter unseren Füssen und über unseren Köpfen. Mit zunehmendem Regen wandern wir weiter, jetzt in Richtung Rossi, unserem „Quartierlokal“, wo der Guerilla Gärtner Maurice Maggi einen exquisiten Risotto mit Tannensprossen zubereitet hat.

Die Tannensprossen hat Maurice getreu seinem Buch „Essbare Stadt“ nicht etwa waldfrevlerisch im Gockhauser Wald abgezupft hat, sondern beim Lochergut in Zürich, wie mir gesagt wurde. Bei Speis und Trank in der vollen Gaststube nahm dieser Event von Rossi Kultur einen wunderbar heiteren Abschluss.

Der Balvenie und Nik Bärtsch begleiten mich beim Schreiben dieser Zeilen am Abend danach und bin froh, der Einladung  „Gockhauser Wald“ gefolgt zu haben.

Das jahrelange Liegen im Moos werde ich in wohl verkürzter Form nachholen. Nachdenken und erleben inbegriffen.

Ueli Schmid