Nachbericht zum «Selbstversorger-Projekt» von Rita, Simon und Mäse

Ernten was gesät. September 2022: Ein Monat als Selbstversorger
Rita ist sich durchaus bewusst, dass wenige Menschen die Möglichkeit haben, sich vom eigenen Grund und Boden weitgehend naturnah, frisch und abwechslungsreich zu ernähren. Darum ist es für sie wichtig, diese Erfahrung mit anderen zu teilen.

Interview von Erika Frewein

Wie ist die Idee zustande gekommen: „einen Monat als kulinarische Selbstversorger zu leben“?
Wir waren schon lange von der Idee fasziniert, zu schauen, wie wir einige Wochen als Selbstversorger leben und was es bedeuten könnte, wenn wir uns eine größtmögliche Unabhängigkeit von Transportwegen, Lebensmittelverarbeitung und Konsumgedanken erhalten wollten. Dazu kommt, dass wir alle gerne kochen und essen, auch oft Experimentelles. Was kommt dabei heraus, wenn wir uns auf den Eigenanbau reduzieren? Was heisst das? Ist es überhaupt möglich?

Wer machte mit?
Mein Bruder Simon, mein Mann Mäse und ich.

Was brauchte es an Vorbereitungen?
Das Projekt hatte ein Jahr Vorlaufzeit. Bereits im Oktober 2021 ging es ans Nüsse-Sammeln, an die Planung, was man wo und wie säen und pflanzen sollte, um im Herbst 2022 eine möglichst reichhaltige und vielseitige Ernte einfahren zu können. Auch die Anschaffung von eigenen Hühnern wollte gut überlegt sein.

Habt ihr freiwillige Helfer/innen eingespannt?
Das meiste haben wir selbst gemeistert, doch bei der Weizenernte waren wir um Familienmitglieder, Freunde und Bekannte froh. Da wollte die Ernte vor einem heftigen Regen eingefahren und am gleichen Wochenende noch verarbeitet werden. – Es ergab immerhin stolze 49 kg Körner.

Was war erlaubt, das nicht aus dem eigenen Garten kam?
Nur Salz und Olivenöl. Später kamen noch Eier hinzu.

Was hat euch Spass gemacht?
Das Gefühl, „Wow! Wir essen etwas, das wir eigenhändig ausgesät und dann geerntet haben.“ Der Garten gab eine Fülle von Farben und Essbarem her. Mit der Zeit entwickelten wir eine beachtenswerte Kreativität und kamen spontan auf allerlei eigene Rezepte, wir wollten ja auch dem kulinarischen Genuss frönen. Nicht mehr Einkaufen zu müssen war schon auch toll. Was brauchen wir noch fürs Wochenende? Ah ja, wir haben ja alles😊.

Was war eher mühsam?
Anfänglich „der Hunger“, oftmals das Gefühl zu haben, dass es nicht genug sättigt, was man als Mahlzeit hinbekommen hatte… „hoffentlich gibt es ausreichend Nahrung für jeden Tag“. –  Wir konnten ja nicht einfach drauf los snacken und naschen. Wobei Simon dieses Gefühl viel weniger hatte als ich.

Gab es (unerwartete) Hindernisse?
Unsere acht Schwedischen Blumenhühner, eine alte nordische Landrasse, keine Legehybride, mussten sich am neuen Ort offenbar erst eingewöhnen… – Da war es mit dem Eierlegen noch nicht soweit wie wir es erwartet hatten. Gerechnet hatten wir mit 3 bis 4 Eiern pro Tag. Bekommen haben wir deren vier – für den ganzen Monat September. – Wie kam man bloss an den Ribelmais als Nahrungsmittel heran? Die Körner an den Kolben waren gar hart und mussten erst zerstossen/gemahlen werden, um sie verzehrfähig zu machen. Mahlsteine funktionierten nicht, da musste Metall-auf-Metall her. Der Amaranth ist zwar kräftig gewachsen, hatte aber kaum genug Zeit zum Ausreifen, obwohl der Sommer 2022 extrem lang heiss und trocken war. Quinoa startete vielversprechend… doch der Regen kurz vor der Ernte bewirkte, dass die Körner am Stängel verschimmelten. Also eine Missernte. Beim Süssmais kam es gar zum totalen Ernteausfall. Den Mäusen haben offenbar viele unserer Kartoffeln im Garten auch sehr gut geschmeckt. Aber so ist es im Garten, es kommt nie alles. Daher setzen wir auf Vielfalt und Mischkulturen.

Im letzten Jahr, 2021, das geprägt war von einem kalten Frühjahr und einem sehr nassen Sommer, wäre unser Projekt zumindest teilweise gescheitert. Das Wetter 2022 war uns hold und lieferte reichlich Nahrung.

Gab es Zwischenfälle?
Bei der Weizenernte liess uns die selbst konstruierte Dreschmaschine, eine Holzbox mit eingebauten Dreschflügeln aus massivem Metall, angetrieben durch einen Akku-Schrauber, ächzend, dann mit einem lauten Knall im Stich. Nach ca. 2/3 der verarbeiteten Menge Weizenstängeln brach nämlich ein Metallflügel ab. Fertig. Aus. Schluss. – Am Sonntag musste eine kreative Idee her… nach mässig erfolgreichen Vorversuchen bauten wir noch eine Sportsequenz ein: bei über 30 Grad Aussentemperaturen stampften und tanzten wir zu dritt bis zu viert über die Ähren, die am Asphalt der Garageneinfahrt ausgebreitet lagen, und traten so die Körner aus den Spelzen.

Wie fühlten sich der Körper und der Geist an?
Zu Beginn war man stark aufs Essen fokussiert. Mit der Zeit stellte sich eine gewisse Gelassenheit ein. Und machte zunehmend unserer Kreativität Platz. – Wir kamen von der Idee „Nahrungsbeschaffung“ immer weiter in Richtung „Genuss“. – Auch, weil wir das einfach zugelassen haben. Oder, weil wir uns genügend Zeit dafür nahmen. Mäse war erstaunt, wie viel er essen konnte, ohne unter einem Völlegefühl zu leiden. Das war eine schöne Erfahrung. Und wir haben wirklich gut gegessen. Das muss man an dieser Stelle erwähnen.

War die Umstellung für euch einfach oder eher schwierig?
Die ersten zehn Tage, da haben wir 2 bis 4 kg an Gewicht verloren. Unsere Gedärme waren nicht auf so viel Weizen und Nahrungsfasern eingestellt, da kam es zu Hungergefühl, Blähungen und Durchfall. Wir kamen uns zuweilen vor, wie wandelnde Bio-Tonnen auf zwei Beinen. Die Umstellung war am Anfang eher schwierig und sehr ungewohnt, doch bald ging es immer besser. Wider Erwarten hatten wir keine Kopfschmerzen, was ich wegen der Zuckerabstinenz erwartet hätte. Wir tranken viel Wasser,Kräutertees und Wasser mit Beerensaft-Eiswürfeln.

Zum Thema „Speisenzubereitung“: wie schätzest du den Zeitaufwand ein? Wie hat sich das Sättigungsgefühl angefühlt?
Der Zeitaufwand war sehr gross. Simon hatte frei, Mäse arbeitete Vollzeit und ich in Teilzeit. So blieb unterschiedlich viel Zeit pro Person für unsere Speisenzubereitung. Das Hungergefühl war anfangs eher chronisch vorhanden. Das Sättigungsgefühl nach dem Essen angenehm, doch eher von kurzer Dauer, man fühlte sich leichter und zufrieden. Nicht belastet, müde und vollgestopft wie nach einem deftigen Essen mit Fett, Kohlenhydraten und Fleisch.

Hattet ihr eine spezielle Arbeitsteilung?
Simon hat sich mit seinen Sauerteig-Künsten zu unserem Brot- und Teigwaren-Versorger entwickelt. Ich war eher für Knäckebrot (mit Nüssen, Kräutern und Sonnenblumenkernen) zuständig oder kreierte so manch feines Dessert aus Früchten und Nüssen. Wir haben interessante Brotaufstriche erfunden: eine Art Pesto aus getrockneten Tomaten – 2022 war ja ein überaus gutes Tomatenjahr -, Kräutern, Karotten, Kürbis und Knoblauch. Oder ein eigenes Bouillonkonzentrat: Pulver aus Lauch, Sellerie und vielen Kräutern. Ein Dessert aus Birnen und Mais sorgte für gutes Echo. Simon hat seine grosse Küche daheim tüchtig genutzt. Seine junge Familie musste sich kleine Zeitfenster schaffen, um diese auch nützen zu können für ihre Versorgung mit herkömmlicher Kost. Wir schätzen die Grosszügigkeit, mit der uns Mirjam – immer zu Kompromissen bereit – unterstützt hat in diesen Wochen. In zwei Haushalten wurde für zwei Arten Esser*innen gekocht… ein andermal würden wir gewisse Vorgänge eher zusammenlegen und miteinander etwas zubereiten und verzehren. Unser 10-jähriger Sohn Lu hat sich in der Zeit oft und gerne „auswärts“ verpflegt; er liess sich da und dort einladen zu „normalem Essen“.

Habt ihr etwas vermisst auf eurem Speiseplan?
Ja, definitiv: Käse, Butter und Jogurt.

Wovon sollte man besser die Finger lassen?
Sich dauerhaft so zu ernähren, das führt unweigerlich in eine Mangelernährung. Wir haben es selbst gemerkt am schlaffer Werden gewisser Muskelpartien, weil uns der Baustoff „Eiweiss“ gefehlt hat. Darum wurden nach drei Wochen Eier zugekauft und täglich davon gegessen. – Für Kinder im Wachstum ist von dieser Ernährungsweise über mehrere Wochen abzuraten.

Wie haben eure Familien und Freunde reagiert?
Sehr interessiert, sie wollten an den Erfahrungen teilhaben und waren sehr offen dafür, ihr Konsum-Bewusstsein zu fördern. Zu reflektieren, was es heisst, ohne Zucker, ohne Käse, mit Verzicht zu leben, zu beachten, wo die Nahrungsmittel herkommen, wie sie verarbeitet worden sind, …- da taten sich einige „Aha! -Erkenntnisse“ auf….

Haben alle drei alles konsequent durchgehalten?
Ja, das kann man sagen (eine Ausnahme war mal ein kleines Bier gegen einen grossen Durst).

Was könnt ihr aus euren Erfahrungen weiterempfehlen?
Vor dem Beginn des Experiments haben wir den Zuckerkonsum drastisch reduziert. Es gab dann später auch keinen Milchzucker mehr. Die einzige Süsse kam aus Früchten. So kam uns ein Biss in einen reifen Apfel schon „sehr süss“ vor. Ich konnte den Zucker im Apfel richtig spüren. Das ist mir vorher noch nie passiert.

Durch den freiwilligen Verzicht kann man sich auf Wesentliches im täglichen Leben fokussieren. Wir haben gut, bunt, regional, mit Genuss und viel Liebe zu dem, was der eigene Boden hergab, bewusst und achtsam gegessen. Wir haben alles gebraucht, gar nichts weggeworfen. Man merkt, wie viel es braucht, bis etwas geerntet und verwertet werden kann. Pflanzen brauchen Luft, Licht, Wärme, Wasser, gute Bodenbedingungen, Zeit. Also muss man schauen, wo was wann am besten gedeiht. Wobei wir bereits auf einen grossen Erfahrungsschatz vom eigenen Garten zugreifen konnten, der schon seit Generationen gepflegt wird. Mit dem Selbstversorger-Versuch haben wir das Ganze bewusst auf die Spitze getrieben. Wir wollten sehen, was möglich ist. Anbaufläche gegen 700m2: